Gartenstadt des 21. Jahrhunderts
Positionspapier der Zukunftswerkstatt Heinersdorf e.V. zum geplanten Neubaugebiet „Blankenburger Süden“
Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen (SenSW) untersucht seit Herbst 2016 die Machbarkeit eines neuen Stadtquartiers auf einer landeseigenen Fläche südlich des Blankenburger Pflasterwegs. Auf dem zur Zeit landwirtschaftlich genutzten Gelände sollen etwa 5.000 Wohneinheitenentstehen, um die Wohnungsknappheit in Berlin zu mindern. Ein solches Großvorhaben birgt Risiken aber auch Chancen. Die AG Stadtentwicklung der ZWH hat dazu ein Positionspapier erarbeitet, das auch im Rahmen des Bürgerbeteiligungsprozesses (bereits begonnen, wird im Herbst 2017 fortgesetzt) zum Einsatz kommen wird.
Startbedingungen: Chancen und Risiken
Die Planung eines neuen Stadtquartiers dieser Dimension (ungefähr 5.000 Wohnungen sollen entstehen) wirft viele Fragen bei den Bürger/innen der umliegenden Gebiete auf, birgt aber auch Chancen für dringend nötige städtebauliche Verbesserungen.
Mögliche Risiken:
- Neues Quartier ist isoliert von umgebenden Stadtteilen, bildet einen ‚Fremdkörper‘
- Geringe städtebauliche Qualität (zu stark verdichtet, billige Bauweise, schlechte Quartiersgestaltung)
- Starke Zunahme des Autoverkehrs mit weiterer Belastung der angrenzenden Stadtteile, insbesondere Heinersdorfs
- Soziale Mischung nicht ausgewogen (Ghettobildung)
- Insgesamt: Veränderungsdruck und qualitative Verschlechterungen für benachbarte Stadtteile (Verkehr, Soziales, Kiezcharakter etc.)
Mögliche Chancen:
- Verbesserungen der Verkehrsinfrastruktur (Investitionen in Tram, Straßen, Rad- und Fußwege) für bestehende Gebiete (z.B. Verkehrslösung Heinersdorf, Blankenburger ‚Doppelknoten’ Bahnhofstraße, etc.), bessere Übergänge zwischen den Stadtteilen
- Neuordnung städtebaulicher Problemzonen (integrierte Planung für bislang suboptimal genutzte Flächen, z.B. Konflikte zwischen Gewerbe- und Wohngebieten, mangelhafte Wegeführung, Gestaltung ehem. Gutspark Blankenburg, Neukonzeption Tiefbaugelände in Heinersdorf, etc.)
- Schaffung eines im gesamtstädtischen Maßstab attraktiven neuen Quartiers, von dem das gesamte Umfeld profitiert (Geschäfte, Schulen, soziale und medizinische Einrichtungen, Freizeit- und Sportangebote)
- Attraktive Grünzüge mit Naherholungsfunktion, Radwanderwege ins Umland
- Insgesamt: Anspruchsvoll gestaltetes neues Quartier wertet die gesamte Umgebung auf
Gartenstadt
Zu Beginn des Planungsprozesses muss eine klare Leitlinie für den städtebaulichen Typ des Quartiers entwickelt werden. Vorhandenes muss berücksichtigt werden (historische Ortskerne Blankenburg und Heinersdorf, Kleingartenanlagen, Grünzüge, Stadtrandsiedlungen der 1920er Jahre), jedoch nicht durch bloße Kopie (z.B. Einfamilienhaus-Siedlungen fortsetzen), sondern im Rahmen eines Gesamtkonzeptes mit hoher Qualität. Eine Gemeinsamkeit der heutigen Siedlungen im Pankower Nordosten ist der hohe Grünanteil – dieser Aspekt sollte also unbedingt als gestalterisches Merkmal aufgegriffen werden.
Als zu Anfang des 20. Jahrhunderts der Verstädterungsprozess diese Gebiete erfasste, plante man sogenannte Gartenstädte. Diese – planerisch anspruchsvollen – Konzepte wurden jedoch aufgrund der Wirtschaftskrise nicht umgesetzt, stattdessen entstanden – weitgehend ungeplante Einfamilienhaussiedlungen. Wegen ihres hohen Grünanteils werden sie heute im Volksmund oft auch Gartenstädte genannt, entsprechen aber nicht dem ursprünglichen Gedanken.
Eine städtebauliche Schwäche großer Einfamilienhausgebiete ist, dass die geringe Verdichtung zu starker Zersiedlung führt (hoher Flächenverbrauch, weite Wege) und zentrale Infrastrukturen (öffentliche Verkehrsmittel, Geschäfte, soziale und medizinische Einrichtungen) oft schwach ausgelastet und daher unwirtschaftlich sind. In Gebieten dieser Art bilden sich deshalb meist keine Zentren aus, sondern die Bewohner orientieren sich in verschiedene Richtungen. In der Regel besteht in solchen Siedlungsstrukturen eine starke Abhängigkeit vom Auto.
Deshalb finden wir es sinnvoll, für das neue Wohngebiet im Blankenburger Süden auf Gartenstadtkonzepte der 1920er Jahre zurückzugreifen, die (gestaffelt) auch höhere Verdichtung (maximal 4-5 Geschosse) zulassen, aber durch anspruchsvolle Gestaltung großzügige Grünflächen und gute Infrastruktur bieten (wie z.B. die Siedlung Lindenhof in Schöneberg). Ein solches Konzept kann dazu beitragen, Defizite der Bestandsgebiete (z.B. fehlende Kultur- und Freizeiteinrichtungen) auszugleichen. Wir plädieren dafür, vorhandene Grünflächen wie das Naturschutzgebiet Malchower Luch im Osten, die Erholungsanlage Blankenburg im Westen des Gebietes sowie vorhandene Grünzonen in Blankenburg und Heinersdorf als Naherholungsräume organisch in die Gestaltung einzubeziehen. Der Besiedlungsdruck für diese Gebiete wird gemindert, sofern in dem neuen Quartier teilweise höhere Verdichtungen möglich sind. Die Übergänge zu den Ortskernen Blankenburg und Heinersdorf müssen so gestaltet werden, dass einerseits auf die Bestandsbebauung Rücksicht genommen wird (vor allem bzgl. Höhe und Größe der Baukörper), und andererseits deren Zentrumsfunktion durch infrastrukturelle Akzente (gute Erreichbarkeit über Verkehrswege, Geschäfte, soziale Einrichtungen etc.) gewahrt bleibt bzw. gestärkt wird.
Darum setzen wir uns für folgende Grundsätze bei der Gestaltung des neuen Stadtquartiers ein:
- Maßstab für die Gestaltung soll eine möglichst hohe städtebauliche Qualität sein – sowohl für die künftigen Bewohner als auch für die angrenzenden Stadtteile. Diese entsteht nicht durch die geringstmögliche Verdichtung, sondern durch eine sorgfältige Gesamtkonzeption.
- Das Quartier soll Modell- und Vorbildcharakter haben, der auch über Berlin hinaus richtungweisend für die Gestaltung neuer Stadtquartiere ist, und von Vornherein attraktive Maßstäbe für künftige Bewohner setzt.
- Es soll dem historischen Leitbild der Gartenstadt folgen, einerseits orientiert an der Gestaltungstradition der 1920er Jahre, andererseits heutigen und zukünftigen Anforderungen und Maßstäben der Nachhaltigkeit verpflichtet.
- Nachhaltigkeit soll insbesondere bei folgenden Aspekten zum Ausdruck kommen: Ausführung der Gebäude, Siedlungsplanung, Verkehrserschließung, soziale Mischung, Naherholungsfunktionen, Energie- und Wassermanagement.
- Die Gebäude sollen hinsichtlich ihrer Art und Größe vielseitig gestaltet sein, neben Geschossbauweise sollen auch Ein- und Zweifamilienhäuser in guter Durchmischung
- Die Gebäude sollten höchste Standards an klimaneutrales Bauen erfüllen (Niedrig- bzw. Null- oder Plusenergiestandard, natürliche Belichtung, nachhaltige Bauweise, Brauchwassernutzung etc.).
- Der Modellcharakter der ‚Gartenstadt Blankenburger Süden’ soll durch wegweisende neue Bautechniken (z.B. innovative Holzkonstruktionen) und Gestaltungsprinzipien (z.B. Naherholungsbereich mit natürlichen Wasserflächen – ggfs. Verbindung mit dem Schmöckpfuhlgraben) sowie eine zukunftsfähige digitale Infrastruktur unterstrichen werden.
- Die Siedlungsplanung soll am Ideal der ‚Stadt der kurzen Wege’ ausgerichtet sein, d.h. alle Versorgungseinrichtungen (Geschäfte, Schulen, Ärzte etc.) sollen ohne Auto erreichbar sein.
- Das Gebiet muss einerseits über eigene Versorgungseinrichtungen verfügen, andererseits müssen die Übergänge zu den angrenzenden Gebieten entsprechend gestaltet werden (Tram-Anbindung, Rad- und Fußwege, Vermeidung städtebaulicher Barrieren).
- Eine besondere Rolle bei der Anbindung an die benachbarten Gebiete spielt das sogenannte Tiefbaugelände (geplantes Gewerbegebiet) in Heinersdorf. Das Gelände bietet Potenzial sowohl für eine Fortsetzung des Wohnungsbaus nach Süden, für durchgehende Grünzüge als auch für wohnverträgliches Kleingewerbe. Dies muss unbedingt ausgeschöpft werden, damit der Übergang zwischen Heinersdorf und dem Blankenburger Süden einen städtebaulich verbindenden Charakter Im Sinne der Qualität des neuen Quartiers muss verhindert werden, dass auf dem Tiefbaugelände – wie bisher geplant – Hallen für logistikintensives Großgewerbe mit entsprechenden Erschließungsstraßen als städtebauliche Barriere wirken.
- Auf dem Tiefbaugelände müssen für verschiedene Wegeverbindungen (Tram, Rad- und Fußwege im Grünen, Straßenerschließung des Wohngebietes aus südlicher Richtung) Trassen berücksichtigt werden.
- Überall in der ‚Gartenstadt Blankenburger Süden’ müssen öffentliche Verkehrsmittel zu Fuß gut erreichbar sein. Sie müssen eine bequeme und schnelle Verbindung in die Innenstadt, ein Umsteigen zur S-Bahn sowie die Verknüpfung mit benachbarten Stadtteilen sicherstellen, so dass ein Verzicht auf einen eigenen PKW möglich ist.
- Von zentraler Bedeutung ist daher (mindestens) eine Straßenbahnverbindung, die einerseits als Verlängerung der Linie M2 (mindestens im 10-Minuten-Takt) zum Alexanderplatz führt, andererseits zum S-Bahnhof Blankenburg, um die Ziele Friedrichstraße / Potsdamer Platz zu erreichen. Die Straßenbahnlinie sollte das Gebiet in Nord-Süd-Richtung möglichst zentral durchqueren, um von überall gute Erreichbarkeit zu gewährleisten. Ebenso sollte sie möglichst nah an den Ortskern Blankenburg herangeführt werden, um dessen ÖPNV-Anbindung zu stärken (z.B. am Blankenburger Pflasterweg nach Westen bis zum S-Bahnhof).
- Weitere attraktive Tram-Verbindungen in Richtung Pankow und Weißensee müssen über eine Linienverknüpfung mit der neu zu schaffenden Ost-West-Straßenbahnlinie (Verknüpfung Pasedagplatz mit S-Bahnhof Pankow) durch Heinersdorf erfolgen. Im Heinersdorfer Ortskern muss eine zentral gelegene, bequeme Umsteigesituation mit der nach Blankenburg führenden Linie geschaffen werden.
- Bei der Planung der ‚Gartenstadt Blankenburger Süden müssen auch neue MobilitätskonzepteB. durch Schaffung von Car- und Bike-Sharing-Stationen sowie Infrastrukturen für Elektromobilität berücksichtigt werden.
- Die Anbindung des neuen Quartiers an das bestehende Straßennetz muss so erfolgen, dass die angrenzenden Stadtteile möglichst wenig belastet Dies muss einerseits durch Schaffung einiger neuer Straßenverbindungen (sogenannte Netzelemente N1, N2, N4e mit sinnvoller Durchbindung zur B2 – siehe dazu Positionspapier Stadtentwicklung und Verkehr der Zukunftswerkstatt Heinersdorf e.V., 19. September 2016) erfolgen, andererseits durch eine möglichst geringe Notwendigkeit privater PKW-Nutzung für die künftigen Bewohner.
- Die ‚Gartenstadt Blankenburger Süden’ soll durch attraktive Radwege erschlossen und mit Nachbarstadtteilen verbunden werden, sowie mit dem parallel zur S2 zu schaffenden ‚Panke-Trail’ (Rad-Schnellweg). An den neuen und bereits vorhandenen Stationen des ÖPNV müssen ausreichend Fahrradstellplätze geschaffen werden.
- Alle oben genannten Aspekte der Verkehrsinfrastruktur müssen gewährleistet sein, bevor das neue Wohngebiet bezogen wird. Ebenso muss eine koordinierte Planung aller Verkehrsaspekte im Berliner Nordostraum, besonders aber mit den kurzfristiger anstehenden Verkehrs-Bauvorhaben (Sanierung B2 im Ortskern Malchow, A 114, Brückenneubau etc.) erfolgen, um einen Verkehrskollaps im Bestand zu verhindern.
- Eine zentrale Voraussetzung für die Schaffung des neuen Wohngebietes ist die grundlegende Neuordnung und Ertüchtigung der Verkehrsverbindungen in Heinersdorf (s. oben genanntes Positionspapier der Zukunftswerkstatt Heinersdorf e.V.)
- Ziel des Senats bei der Schaffung der ‚Gartenstadt Blankenburger Süden’ ist die Bereitstellung bezahlbaren Wohnraums. Dies ist aus sozialpolitischer und gesamtstädtischer Perspektive unbedingt sinnvoll. Um aber eine tragfähige soziale Durchmischung zu erreichen (und Befürchtungen einer sozialen ‚Ghettobildung’ von vornherein vorzubeugen), muss bereits die Planung des Gebietes folgende Aspekte berücksichtigen: Bebauung des Gebietes durch verschiedene Bauträger mit unterschiedlichen Zielgruppen, die dem sozialen Querschnitt der Bevölkerung entsprechen; ausgewogene Mischung von Mietwohnungen und Wohneigentum; Attraktivität des gesamten Gebietes durch Verbindung sozialer mit ökologischen Kriterien; zeitlich gestaffelte, abschnittsweise Bebauung zur Förderung eines organischen Quartierswachstums.
- Höhere Verdichtung in bestimmten Bereichen des Quartiers ermöglicht es, großzügige Grünflächen zu schaffen. Diese sollen möglichst einen großräumigen Zusammenhang bilden (z.B. Fuß- und Radwege im Grünen, die sich quer durch die gesamte Siedlung ziehen und reizvolle Übergänge zu benachbarten Stadtvierteln schaffen).
- Bestandteil dieser Grünzüge sollen auch Wasserflächen Die natürliche Entwässerung des Einzugsbereichs kann nur über den Schmöckpfuhlgraben und die Panke erfolgen, deren Aufnahmekapazitäten begrenzt sind – insofern bietet sich ein natürlicher Regenwasser-Rückhaltebereich im Gelände (z.B. ein zentraler, naturnaher See) an, der u.U. auch als Brauchwasserquelle dienen kann.
- Die Grünzüge müssen so dimensioniert werden, dass sie die ausgewiesene Kalt- und Frischluftschneise in die Innenstadt erhalten und einen aktiven Beitrag zur Verbesserung des Stadtklimas leisten.
- In die Grünflächen sollen Sport- und Freizeiteinrichtungen eingebettet sein, auch in sinnvollem räumlichen Bezug zu Schulstandorten.
- Die ‚Gartenstadt Blankenburger Süden’ soll neben öffentlichen Grünflächen ausreichend Raum für private oder halböffentliche (‚urban gardening’-Konzept) Mietergärten Dies soll durch den weitestgehenden Erhalt vorhandener Kleingärten und deren Einbeziehung in das städtebauliche Gesamtkonzept geschehen.
- Grüne Verbindungsachsen sollen insbesondere an folgenden Stellen entstehen: südlich nach Heinersdorf entlang der geschützten Grünbereiche des Tiefbaugeländes, östlich zum Malchower Luch, westlich zur Erholungsanlage Blankenburg und von dort weiter zu den Heinersdorfer Karpfenteichen (Pasewalker Straße, Übergang nach Pankow), nördlich nach Alt-Blankenburg und von dort westlich durch den ehemaligen Gutspark zum S-Bahnhof Blankenburg.