Von Zäunen und Türmen
Der Freitag, 10.07.2011
Vor fünf Jahren tobte im Berliner Stadtteil Heinersdorf ein erbitterter Streit um den Bau einer Moschee. Was ist daraus geworden?
Die Männer von der Parallelgesellschaft verschanzen sich hinter schwarzen Toren, über die sie Stacheldraht gespannt haben. Manche tragen Bärte und schauen grimmig drein, auf ihrer Kleidung prangen kriegerische Symbole, Schwerter, Totenschädel. Im Internet prahlen sie mit Ritualen, die man als frauenverachtend und gewaltverherrlichend bezeichnen kann. Der Treffpunkt dieser Männer liegt in Heinersdorf, einem unauffälligen Stadtteil im Nordosten Berlins. Man hat dort große Vorbehalte gegenüber Parallelgesellschaften.
Aber es sind nicht die Rocker vom Motorradclub „Born to be Wild“ mit ihrer Vorliebe fürs Eiserne Kreuz und „Germanenpartys“, auf denen nackte Frauen tanzen, derentwegen seit Jahren ein Riss durch Heinersdorf geht.
Es gibt noch eine andere Gruppe von Männern, denen in Heinersdorf manche vorwerfen, sie würden eine Parallelgesellschaft bilden und ihre Frauen schlecht behandeln: Imam Abdul Basit Tariq und seine muslimische Ahmadiyya-Gemeinde, die 2006 ein Haus bauen wollten zwischen Linden und Lattenzaun, mitten ins deutsche Idyll, ein fremdartiges Haus mit Turm und Kuppel. Eine Moschee. Aber die Heinersdorfer wollten keine Moschee, und sie wollten auch Tariq und seine Gemeinde nicht.
Zaghaft, wie der Finger eines Grundschülers
Die Befürchtungen mancher Anwohner waren vor fünf Jahren so groß, dass sie einen Verein gründeten, um gegen den Bau der Moschee anzukämpfen. Es gab Demonstrationen, und im Lauf des Streits vermischten sich Mikro- und Makrokosmos. Zuerst ging es darum, dass Grundstückspreise sinken und Parkplätze knapp werden könnten. Später kam die Furcht vor der Ersetzung des Rechtsstaats durch die Scharia hinzu.
Schließlich haben die Muslime ihre Moschee gebaut, einen weißen Quader hinter einer Kfz-Werkstatt. Der Quader hat eine Kuppel. Und übers Wellblech der Werkstatt reckt sich, zaghaft wie der Finger eines Grundschülers, ein gedrungenes Minarett. Es ist kaum höher als das Dach der Moschee. Im Oktober 2008 wurde das Gotteshaus eröffnet.
Seitdem ist das Klima gereizter geworden in Deutschland. Es gab die aufgehitzte Debatte um Thilo Sarrazins Thesen. In den Niederlanden und Finnland haben Wahlergebnisse aus antimuslimischen Splitterparteien Koalitionspartner gemacht. Und Bundespräsident Christian Wulff hat gesagt, der Islam gehöre zu Deutschland, aber Innenminister Hans-Peter Friedrich hat ihm widersprochen.
Was ist seitdem in Heinersdorf passiert? Keimt zwischen Autobahnzubringer und Vorgartenwelt eine bedrohliche Parallelgesellschaft? Oder gibt es Zeichen der Versöhnung?
Drei Besuche bei den Parteien von damals: Da ist Imam Tariq, der einen Platz zum Beten braucht und sich ansonsten nicht groß für Heinersdorf interessiert. Da ist der Politiker René Stadtkewitz, für den der Konflikt um das Gebäude eine Schlacht in einem weltweiten Krieg darstellt. Und da ist Sandra Caspers, die eigentlich nur vermitteln wollte und ungewollt zur Profiteurin des Konflikts wurde.
Der Imam sagt: „Wir sind offen“
Im Nebengebäude der Moschee sitzt Imam Tariq, hinter ihm hängt ein Kalender mit Bildern romanischer Kirchen. Zwischen Gebäck und einer Kanne Filterkaffee liegt auf seinem Schreibtisch eine Deutschlandkarte. Er verstehe, dass die Heinersdorfer skeptisch waren, als sie hörten, dass in ihrem Stadtteil eine Moschee gebaut werden soll. „Wer in Deutschland eine Moschee bauen will, wird nie mit Blumen empfangen. Aber wir sind offen, wir wollen die Leute kennenlernen“, sagt Tariq, 63 Jahre alt. Er trägt einen Kinnbart und ein weißes Hemd. Er sei damals in Kirchen und Vereine gegangen, habe Fragen beantwortet, seine Religion mit ihren Ge- und Verboten erklärt.
Vielleicht kann ein Spaziergang mit dem Imam Aufschluss darüber geben, wie in Heinersdorf die Stimmung heute auf der Straße ist. Allerdings besteht der Stadtteil im Wesentlichen aus zwei lärmenden Trassen, die Berliner Autofahrer ins Grüne führen, und einer metastasierenden Geschwulst aus Filialen führender Mineralöl- und Imbisskonzerne. Dazwischen verlaufen lindengesäumte Sträßchen mit Vorgärten, die Holzzäune begrenzen. Durch eine solche Straße spaziert Tariq nun. Kein Mensch ist zu sehen. Falls doch mal einer entgegenkommt, herrscht nüchternes Desinteresse. Man blickt aneinander vorbei.
Der Imam spricht viel davon, dass man einander verstehen müsse. Allerdings geht es bei ihm vor allem darum, dass die Deutschen den Islam verstehen. Sie sollen sich informieren über die Quellen muslimischer Regeln. „Wenn mir ein Deutscher sagt, ihn interessiert nicht, was mein Glaube erlaubt oder verbietet, und ich müsse so leben wie er, dann ist das doch keine Integration.“ Inwieweit auch die Muslime auf die Deutschen zugehen müssten, dazu fällt ihm nicht so viel ein.
Wo die sechsspurige Ausfallstraße in Heinersdorf zur Autobahn wird, auf der Terrasse eines Schnellrestaurants zwischen Straßenlärm und Kfz-Werkstatt, sitzt René Stadtkewitz und raucht. „Für Versöhnung ist es jetzt zu spät“, sagt er. Es soll entschlossen klingen. Stadtkewitz war einer der Wortführer des Protests gegen die Moschee. Inzwischen hat er eine islamkritische Partei namens „Die Freiheit“ gegründet. Er ist Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses, damals für die CDU, heute als Fraktionsloser. Im September wird in Berlin gewählt, Stadtkewitz tritt wieder an. Heinersdorf liegt in seinem Wahlkreis.
Stadtkewitz, 46 Jahre, Bürstenschnitt und rosa Hemd, hat eine sehr klare Vorstellung vom Weltbild der Muslime. Sie lässt sich etwa so zusammenfassen: Antidemokratisch, frauenfeindlich, totalitär. „Der Islam ist als Gesellschaftsmodell nicht vereinbar mit unserer Lebensweise. Wenn ich eine verschleierte Frau sehe, kann mir doch keiner erzählen, die sei gleichberechtigt“, sagt er.
Manchmal ist es schwer, ihn zu verstehen, etwa wenn ein Flieger im Sinkflug über Heinersdorf donnert. Manchmal ist es aber auch schwer, ihn zu verstehen, ohne dass da Flugzeuglärm wäre: Die Muslime, findet Stadtkewitz, hätten damals ihren Gegnern mehr entgegenkommen, auf die Kuppel und aufs Minarett verzichten müssen. Dann hätte es vielleicht einen Kompromiss geben können. „Dann wäre es keine Moschee, sondern ein Vereinsgebäude gewesen.“ Die Frage stellt sich, was das am vermeintlich totalitären Charakter des Islams geändert hätte. Stadkewitz lässt sie unbeantwortet.
Stattdessen sagt er Sätze wie: „Ich will nicht, dass es in Heinersdorf aussieht wie in Neukölln.“ Neukölln ist an vielen Ecken laut, hektisch und dreckig, die Autos parken in zweiter Reihe und auf der Straße sind immer Menschen, darunter viele Türken, Araber. Heinersdorf ist dagegen Eigenheimland. Neben vor-wende-grau dahindämmernden Mietskasernen strahlen Reihen von Einfamilienhäusern. Beherrschendes Element des Straßenbilds ist der Zaun, schmiedeeisern oder aus gekreuztem Holz. Er beschützt die Vorgärten vor der Welt da draußen. Man kann Neukölln lebendig finden oder bedrohlich. Man kann Heinersdorf spießig finden oder heimelig, aber man kann nicht sagen, seit der Ankunft der Muslime habe sich Heinersdorf in Neukölln verwandelt.
Stadtkewitz’ Argumente verurteilen den Islam als Ganzes. Gegen den Bau einer Moschee sprechen sie nicht. „Wir haben damals eine Stellvertreterdebatte geführt um die nicht gelösten Integrationsprobleme“, gibt er zu. Anders gesagt: Das Kopftuchmädchen würde auch unterdrückt, wenn keine Moschee gebaut worden wäre. Vielleicht kann es deswegen keine Versöhnung geben.
Heute, meint Stadtkewitz, würden sich die Heinersdorfer ohnehin nicht mehr interessieren für den Quell des Unheils vor ihrer Haustür. „Die Leute sagen doch, lass uns damit in Ruhe, wir wollen davon nichts mehr hören.“
Wie bitte? Jetzt, da totalitäre Frauenverächter Freitag für Freitag aus ganz Berlin anreisen, um in einer Brutstätte verdorbenen Glaubens die Abschaffung des Grundgesetzes voranzutreiben, interessieren sich die Bürger nicht mehr für das Unheil vor ihrer Haustür?
Hauptsorge Grundstückspreise?
Sandra Caspers hat für dieses Desinteresse eine Erklärung. „Die Hauptsorge der Moscheegegner galt den Grundstückspreisen“, sagt Caspers, die damals vermittelt wollte. Sie sagt, die Moscheegegner hätten Demokratie und Emanzipation bloß vorgeschützt – verlogene Argumente, um nicht egoistisch zu wirken. Caspers gründete damals, schockiert von der Aggressivität des Protests, eine so genannte Toleranzinitiative. Dabei legt sie Wert darauf, dass sie keine Befürworterin der Moschee gewesen sei. Es solle nur jeder nach seiner Fasson leben können.
Caspers sitzt ungeschminkt und in einem knielangen Sommerrock am Konferenztisch des Nachbarschaftshauses „Zukunftswerkstatt Heinersdorf“, dessen Vorsitzende sie ist. Vor ihr steht eine Kanne Filterkaffee. „Die Heinersdorfer wollten, dass alles so bleibt, wie es ist“, sagt die 41-jährige Mediendesignerin. Als sie einer Gruppe von Moscheegegnerinnen, die sich um das Schicksal der Ahmadiyya-Frauen sorgten, ein Treffen mit den Musliminnen vorgeschlagen habe, hätten sie kein Interesse gezeigt. „Sie meinten, das würde den Frauen auch nicht helfen. Man müsse stattdessen die Moschee verhindern.“
Die Leute von der Toleranzinitiative sehen den eigentlichen Grund für den Riss, der durch Heinersdorf geht, nicht in den Muslimen, sondern in der Radikalisierung der Moscheegegner. Sie finden, es seien Leute wie Stadtkewitz, die nicht nach Heinersdorf gehörten – jedenfalls nicht mit Parolen wie jener von der „rücksichtslosen Landnahme“.
Auch Caspers glaubt nicht daran, dass es in Heinersdorf noch zu einer Aussöhnung kommen wird. Zu unerbittlich sei der Streit damals ausgetragen worden. „Einer der Moscheegegner hat mir vor die Füße gespuckt“, erzählt sie. Von ihrer Seite wird es kein Gesprächsangebot mehr geben.
Wenn Caspers vor die Tür ihrer „Zukunftswerkstatt“ tritt, dann sieht sie mehr als Kopfsteinpflaster und Straßenbahnschienen. Sie sieht ein Schwarzweißbild von Heinersdorf, grundstücksweise geordnet, Gegner und Befürworter. Caspers kennt sie alle. Noch heute wechseln manche die Straßenseite, wenn sie durch Heinersdorf geht. Ein Mann in beigefarbener Jacke läuft mit militärisch knappem Gruß an ihr vorbei. „Moscheegegner“, kommentiert Caspers knapp.
Aber seit es so gut läuft mit dem Nachbarschaftshaus, haben sich bunte Flecken in das Schwarzweiß von Heinerdorf gemischt. Da ist ein neues Fußballfeld entstanden, daneben ein Abenteuerspielplatz – die „Zukunftswerkstatt“ profitiert von einem erstaunlichen Paradox: Der erbitterte Streit sorgte bundesweit für Aufsehen, Politikpromis wie Wolfgang Thierse setzten sich für den Bau der Moschee ein. Das lenkte auch Aufmerksamkeit auf die Vermittler. Verschiedene Stiftungen gaben Geld. Inzwischen gibt es in dem frisch gestrichenen Vereinsgebäude etwa eine Krabbelgruppe, einen Seniorentreff. Das ist die gute Seite des Moscheestreits von Heinersdorf.
Es gibt zwei Lesarten, wie man den Konflikt und seine Folgen fünf Jahre danach betrachten kann. Die erste Lesart ist ernüchternd: Erbitterter Widerstand gegen einen sichtbaren Islam weicht völligem Desinteresse danach. Ein Platz für Versöhnung bleibt da nicht, geschweige denn für Integration.
Es gibt aber auch die andere Lesart. Sie könnte den Menschen hinter den Jägerzäunen im Land Beruhigung bringen, sie lautet: Auch wenn Muslime kommen und eine Moschee bauen – es wird alles beim Alten bleiben.