Vom Sängerknaben zum Kantor

Berliner Woche Nr. 17, 27.04.2011

Wolfgang Hensel ist seit einem halben Jahrhundert eine Heinersdorfer Institution
HEINERSDORF. Er gehört bereits zum Inventar der Heinersdorfer Gemeinde: Wolfgang Hensel. Dieser Tage kann er auf 50 Jahre als Kantor zurückblicken, und ebenso alt ist nun auch die Heinersdorfer Kantorei. Im April 1961 begann der damals 33-Jährige seine Tätigkeit in Heinersdorf. Zwar gab es dort auch vor ihm schon einen Kantor. Dessen Wirken beschränkte sich aber, neben dem sonntäglichen Orgelspiel, nur auf einen kleinen Kirchenchor. Wolfgang Hensel wollte mehr, eine richtige Kantorei. Der junge Mann hatte bereits eine beeindruckende musikalische Karriere hinter sich. Als Knabe sang er im Dresdener Kreuzchor. Nach Berlin kam er später als Chordirektor des Staatlichen Volkskunstensembles. Konzertreisen führten ihn um die halbe Welt. Später wurde er stellvertretender Leiter der Köpenicker Musikschule, arbeitete eine Zeit lang bei der Schallplatte und wirkte im Acappella-Chor Berlin mit, den er auch in seiner Heinersdorfer Zeit noch leitete.

Mit dem Amtsantritt Wolfgang Hensels begann in der evangelischen Gemeinde Heinersdorf musikalisch eine neue Zeitrechnung. Den vielen Beziehungen, die sich der Musiker über die Jahre aufgebaut hatte, war es zu verdanken, dass er in Heinersdorf von Anfang an ein musizierfähiges Ensemble beisammen hatte. Neben einigen engagierten Gemeindemitgliedern brachte er Chorsänger, Instrumentalisten und Solisten aus seinen früheren Betätigungsfeldern mit. Diese halten ihm und der Kantorei zum Teil bis heute die Treue. Damit wurde die Kantorei das, was sie bis heute ausmacht. Sie ist eine musikalische Vereinigung, deren Wirken und deren Mitwirkende sich nicht auf die Gemeinde beschränken. Die Kantorei ist ein Ort für Musiker aus der ganzen Stadt. Das erste größere Konzert, das Kantor Hensel zur Aufführung brachte, war die Bach-Kantate Nr. 1 "Nun komm der Heiden Heiland", die im Advent 1961 in der Heinersdorfer Kirche erklang. Danach ging es Schlag auf Schlag. Ob zu Weihnachten, zu Pfingsten oder zum Erntedank, immer bereicherte der Kantor die Höhepunkte im Kirchenjahr mit musikalischen Attraktionen. In den 70er-Jahren wurde sogar der Rundfunk auf die Kantorei aufmerksam. In der Heinersdorfer Kirche entstanden mehr als 30 Aufnahmen für die Evangelische Morgenfeier, die im Rundfunk der DDR übertragen wurden.

Inzwischen ist der Heinersdorfer Kantor 83 Jahre alt. Aber auch im Ruhestand leitet die die Kantorei weiter. Zu dieser gehört heute neben Chor und Orchester "Collegium musicum" auch der Kinderchor, der seit 1961 viele junge Menschen für die Musik begeisterte. Befragt nach dem, was seine Arbeit in den vergangenen 50 Jahren besonders bestimmt hat, antwortet Wolfgang Hensel lächelnd: "Improvisation." Eine Fähigkeit, die neben der musikalischen wohl die besondere Qualität des Kantors ausmacht. Das 50. Jubiläum ihres Kantors und der Kantorei wird die Heinersdorfer Gemeinde am 22. Mai mit einem Festgottesdienst feiern. BW