Geschichte
Aus einem Konflikt entstanden
Ausgangspunkt der heutigen Zukunftswerkstatt Heinersdorf e. V. war ein Konflikt – ein großer Konflikt um ein kleines Gebäude. Eine Moschee sollte gebaut werden auf einer der vielen Brachflächen in Heinersdorf in der Tiniusstraße nahe der Autobahnauffahrt. Die muslimische Ahmadiyya-Gemeinde, zuvor in einem Einfamilienhaus in Tegel untergebracht, plante für ihre etwa 150 Mitglieder ein Gemeindezentrum. Anfang 2006 wurde in Heinersdorf bekannt, dass der Bauantrag genehmigt worden war. Die Verwaltung hatte formal korrekt gehandelt, aber die Ängste in der Bevölkerung falsch eingeschätzt.
Zu Anwohnerinnen und Anwohnern, die sich schlecht informiert und überrumpelt fühlten von einer Entscheidung mit potenziell weitreichenden Folgen für die Entwicklung des Ortsteils, gesellten sich schnell auch rassistische und fremdenfeindliche Stimmen. Eine allgemeine Angst vor dem Islam und religiösem Fundamentalismus mischte sich mit der Furcht vor sozialer Veränderung, einer diffusen Wut auf die Behörden und ausländerfeindlichen Vorurteilen. Protest formierte sich und die Atmosphäre im Ort wurde, angefacht durch einige Scharfmacher, aggressiv. Als der Bezirk daraufhin den Dialog mit der Bevölkerung suchte, war es bereits zu spät: Eine eilig einberufene Informationsveranstaltung in der Turnhalle der Grundschule am Wasserturm eskalierte und musste unter Polizeischutz beendet werden.
Es schien nur noch „Für“ oder „Gegen“ zu geben, Nachbarn grüßten sich nicht mehr. Im September 2006 gab es eine größere Demonstration, auf der auch einschlägig bekannte Rechtsextreme versuchten, aus der Situation politisches Kapital zu schlagen. Auch die Medien interessierten sich eher für die schrillen Töne als die besonnenen Stimmen. Heinersdorf geriet bundesweit in die Schlagzeilen.
Eine Gruppe von etwa 30 Heinersdorferinnen und Heinersdorfern entschied daraufhin, gemeinsam ein Zeichen für Toleranz und Verständigung zu setzen und sich für eine sachliche Diskussion starkzumachen. Mit der Initiative „Heinersdorf öffne dich!“ erhoben diejenigen die Stimme, die nicht die Moschee als Gefährdung betrachteten, wohl aber die Wut und die Frustration, die zum Protest gegen das muslimische Gotteshaus und rassistischen Anfeindungen führten – Ohnmachtsgefühle, ausgelöst durch eine jahrzehntelange stadtplanerische und infrastrukturelle Vernachlässigung des Stadtteils. Die Initiative setzte sich das Ziel, die Entwicklung Heinersdorfs voranzutreiben. Mit einer Plakataktion im Ortskern und einem Internetforum startete sie die öffentliche Diskussion, wie man Heinersdorf attraktiver und lebenswerter gestalten könnte.
Heinersdorf öffne dich!
„Heinersdorf öffne dich!“ machte sich stark für die Entwicklung eines stadtplanerischen Gesamtkonzeptes unter Einbezug der Menschen vor Ort. Auf ihrer Webseite heißt es dazu:
- Neuordnung der Flächen und Verkehrsströme
- Anbindung des S-Bahnhofs Pankow-Heinersdorf an den Ortsteil
- Erweiterung der Tram 2 zum S-Bahnhof Pankow-Heinersdorf
- Schaffung von Begegnungsstätten im öffentlichen Raum (Spielplätze, Parkanlagen, Bänke)
- sinnvolle Nutzung des Wasserturms, möglicherweise als Kultur- oder Begegnungszentrum
- Stärkung von Heinersdorf als Schnittpunkt zwischen land und Stadt; zwischen dem Naherholungsgebiet Berliner Barnim und dem unmittelbar angrenzenden Prenzlauer Berg
- Errichtung von Fahrrad- und Spazierwegen mit entsprechender Kennzeichnung
- Identitätsstärkung der Heinersdorferinnen und Heinersdorfer mit ihrem Ortsteil
Am 17. November 2006 eröffnete die Initiative das Gespräch mit den Heinersdorferinnen und Heinersdorfern an einer selbst gestalteten Plakatwand im Ortskern. Bei Glühwein, Plätzchen und Musik tauschte man Meinungen über die notwendige Stadtteilentwicklung aus. Parallel dazu richtete die Initiative einen Internetauftritt mit moderiertem Diskussionsforum ein, in dem sich innerhalb von zwei Wochen sechzig Nutzer mit über sechshundert Beiträgen zu Wort meldeten. Über einhundert Menschen trugen sich mit Namen und Statements in die unterstützerliste von „Heinersdorf öffne dich!“ ein.
„Heinersdorf öffne dich!“ wurde schnell zu einer starken Stimme im Konflikt um den Moscheebau in Heinersdorf und saß mit am Tisch, als 2006 und 2007 in der ersten „Zukunftswerkstatt Heinersdorf“ Bürgerinnen und Bürger über Stärken, Schwächen und Zukunftsvisionen für Heinersdorf debattierten. Im Dezember 2007 und nach der großen Zukunftskonferenz gründeten die Mitglieder der Initiative gemeinsam mit anderen Engagierten den eingetragenen Verein Zukunftswerkstatt Heinersdorf e. V..
Detaillierte Informationen zu „Heinersdorf öffne dich!“ und die Aktivitäten der Initiative findet man bis heute unter www.heinersdorf-oeffne-dich.de.
Ein Dorf ergreift die Initiative
Wie kann man Heinersdorf attraktiv(er) und lebenswert(er) machen? Das war (und ist) die zentrale Fragestellung eines Diskussions- und Gestaltungs-prozesses, der von 2006 bis 2008 im Rahmen einer Zukunftswerkstatt und zweier Zukunftskonferenzen angeschoben wurde und bis heute wirksam andauert.
Den Anfang machte die Zukunftswerkstatt „Zukunft in Heinersdorf“, die die Initiative Heinersdorf öffne dich! unter dem Eindruck der anhaltenden Proteste gegen den Moscheebau anregte. In drei moderierten Workshops dachten rund dreißig Heinersdorfer Bürgerinnen und Bürger von November 2006 bis Februar 2007 gemeinsam über Heinersdorf nach und entwickelten Ideen und Visionen für ihren Ortsteil. Über die Probleme bestand rasch Einigkeit: Bemängelt wurden Defizite in der Stadtplanung und Infrastruktur sowie das Fehlen eines echten Dorf- bzw. Ortszentrums und sozialer und kultureller Treffpunkte, die eine Heinersdorfer Identität ermöglichen würden.
In den Arbeitsgruppen Gartenstadt, Verkehr und Kultur und Soziales erarbeitete man erste konkrete Lösungsvorschläge. So auch ein Gartenstadt-Konzept, das noch im Februar 2007 vor den Pankower Bezirksausschüssen für Verkehr und Stadtentwicklung vorgestellt wurde. Dort hinterließ das Heinersdorfer Engagement solchen Eindruck, dass das Tiefbauamt Pankow zu einem weiteren, vierten Workshop einlud.
Das wichtigste Ergebnis der „Zukunftswerkstatt Heinersdorf“ stand jedoch schon nach dem dritten Termin fest: Man wollte weitermachen und dazu eine Initiative gleichen Namens um die angestoßenen Fragen in eine größere Runde zu tragen und mehr Menschen in den Gestaltungsprozess einzubeziehen, veranstaltete die Initiative vom 16.-18. November 2007 eine Zukunftskonferenz in der Grundschule am Wasserturm. Wie schon die Zukunftswerkstatt moderierte das argo-team für das mobile Beratungsteam Ostkreuz der Stiftung SPI, die Kosten trugen der Berliner Integrations-beauftragte und der Bezirk, die Schirmherrschaft übernahm der damalige Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse.
Ein halbes Jahr lang hatten die Initiatorinnen und Initiatoren die Zukunftskonferenz vor- bereitet und Heinersdorfer Bürgerinnen und Bürger im persönlichen Gespräch für die Teilnahme gewonnen. An drei Tagen erarbeiteten schließlich mehr als siebzig Menschen aus Heinersdorf in einem kreativen und gruppendynamischen Prozess eine Reihe von Leitzielen und entwickelten Strategien für ihre Verwirklichung. Ein wichtiger Schritt wurde keine vier Wochen später, am 19. Dezember 2007, mit der Gründung der Zukunftswerkstatt Heinersdorf e. V. getan.
Aus dem Abschlussbericht der Zukunftskonferenz im November 2007:
- Heinersdorf hat eine hohe Wohn- und Lebensqualität. Wir wollen sie erhalten und verbessern.
- Wir wollen aktiv an der Entwicklung eines städtebaulichen leitbildes für unseren Ortsteil mitarbeiten.
- Wir beteiligen uns aktiv am Entwicklungsprozess und wollen Verantwortung übernehmen.
- Wir fördern den öffentlichen Nahverkehr und drängen den Individualverkehr zurück.
- Wir wollen das Ortszentrum stärker für den Einzelhandel und die Gastronomie entwickeln.
- Wir wollen, dass ein Teil des Gewerbegebietes in einen Freizeitpark umgewidmet wird.
- Wir stärken das nachbarschaftliche Miteinander. Wir wollen ein Heinersdorfer Gemeinschaftsgefühl.
- Wir wollen das Image von Heinersdorf verbessern.
- Wir setzen uns für eine bessere Kommunikation zwischen den Bürgern und der Politik und Verwaltung ein.
- Wir gründen einen Bürgerverein für Heinersdorf.
Damit diese Ziele auch Realität werden, haben wir Arbeitsgruppen zu konkreten Themen gebildet: Arbeitsgruppe Nachbarschaftshaus, Arbeitsgruppe Verkehr, Arbeitsgruppe Kommunikation, Arbeitsgruppe Städtebauliches Leitbild, Arbeitsgruppe Landschaftspark, Arbeitsgruppe Wasserturm, Arbeitsgruppe Schule, Arbeitsgruppe Dorffest.
Die Arbeitsgruppen wollen wir in einem eingetragenen Verein koordinieren und so eine Interessenvertretung für Heinersdorf in Politik und Verwaltung bilden.
Archiv Geschichte